NACH HAUSE TELEFONIEREN

Neulich zappte ich so vor mich hin und blieb auf ZDFinfo bei der Sendung „Das war dann mal weg“ hängen. Darin wurden zukunftsweisende Erfindungen vorgestellt, die lange unseren Alltag geprägt haben – und die heute dennoch verschwunden sind. Besonders nostalgisch wurde ich bei der Musikkassette, da ich mich nur allzu gut an meine zahlreichen Hörspiele und Mixtapes erinnere. Ich habe immer noch das Klackern im Ohr, wenn man die Kassette schüttelt oder wenn sie sich im Recorder umdreht und das Quietschen, wenn man die Hülle auseinanderklappt.


Eine andere Erfindung, an die ich diverse Alltagserinnerungen habe, ist die Telefonzelle. Diese gelben oder später grau- und magentafarbenen Boxen, zu denen man pilgerte, wenn man seinen Haustürschlüssel vergessen hatte oder ungestört mit seinem Schwarm telefonieren oder von der Klassenreise aus seine Eltern anrufen wollte. Vor denen man ungeduldig von einem Bein aufs andere hüpfte, weil drinnen schon jemand stand und einfach nicht aufhören wollte, Geld nachzuwerfen. In denen man Schutz suchte, weil es plötzlich anfing in Strömen zu regnen, auch wenn es nach abgestandenem Zigarettenrauch und verkohlten Telefonbüchern roch. Man bekam von seinen Eltern bunte Telefonkarten zugesteckt, die man sammelte, wenn sie leer telefoniert waren.

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Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, nicht jederzeit und überall telefonieren zu können. Und es gibt eine Generation, die weder Telefonkarten kennt, noch verstehen kann, warum man früher öffentliche Münztelefone benötigt hat. Doch wir wären ja keine Alltagsabenteurer, wenn wir nicht direkt rausrennen und uns einer Alltagserinnerung hingeben würden! Ich musste allerdings erst einmal googeln, wo überhaupt noch eine Telefonzelle zum nostalgischen Alltagsabenteuererleben steht. Tatsächlich sind das aber gar nicht so wenige wie gedacht; es steht sogar eine nur 200 Meter Luftlinie von meiner Haustür entfernt. Die war mir vorher nie aufgefallen – warum auch, ich war ja mit neuem Smartphone kommunikationsmäßig bestens ausgestattet. Jetzt ging ich aber zielstrebig darauf zu, hob ehrfürchtig den Hörer von der Gabel und warf meine Euromünze ein. Ich hielt inne. Die einzigen Nummern, die ich auswendig kannte, waren die meiner Eltern und meine eigene. In einer Telefonzelle stehend mein Handy herauszuholen, um eine Nummer nachzuschauen, kam mir aber ganz doll unalltagsabenteuermäßig vor und so versuchte ich es tatsächlich mal bei meinen Eltern. Während ich dem Freizeichen lauschte, vermisste ich ein bisschen den typischen Geruch, denn leider war dies keine richtige Zelle, sondern so ein offenes Telefon mit Windschutz.

 

Meine Mutter nahm tatsächlich ab und war etwas irritiert von der unbekannten Nummer, meiner fröhlichen Stimme und der überschwenglichen Begrüßung aufgrund meiner Alltagsabenteuerstimmung. Sie reagierte nicht ganz so euphorisch auf meine Wiederentdeckung der Telefonzelle, wie ich gehofft hatte, aber da auch sie sich bereits seit ein paar Jahren mit einem Smartphone durchs Leben in den 2010er Jahren navigierte, war das wohl nur verständlich. Nach einem kurzen Plausch war mein Guthaben auch schon aufgebraucht und ich legte den Hörer wieder auf die Gabel. Zurück blieb ein Gefühl, heute keins von den ganz großen Abenteuern erlebt, aber eine kleine Zeitreise in die eigene Jugend gemacht zu haben. Manchmal sind es eben die kleinen Dinge, die einen froh stimmen - und die Erkenntnis, dass für jede Alltagserfindung irgendwann die Zeit gekommen ist.


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